Jedem Autor ein Lektorat einzureden halte ich für ebenso unseriös, wie Romane ungeprüft zu veröffentlichen. Scheinbar ist das Lektorat Verlagssache, auch als Verlagsautor zahlst du es aber selbst. Indirekt. Es gehört zu den Kosten, die der Verlag vorfinanziert und sich hereinholt, indem er dir als Autor nur einen relativ kleinen Tantiemensatz auszahlt. Wozu also zweimal zahlen? Wozu vorab lektorieren lassen, damit der Verlag dann den Prozess wiederholt? Ich kenne keinen Profi-Autor, der das macht. Aber jeder seriöse Profi-Autor hat seine Testleser. Mit diesen 16 Profi-Tipps fährst auch du gut:

1. Suche dir Kritiker, keine Fans

Keine Frage, Fans tun gut, aber sie bringen dich nur bedingt weiter. Ein Fan ist schon mal dazu bereit, das eine oder andere Auge zuzudrücken. Wenn du regelmäßige Streicheleinheiten suchst, dann hol dir einen Fan ins Boot, aber sei dir darüber klar, warum du ihn dabei haben willst. Lass dich von ihm aufbauen, aber lass ihn nie die Stimme deiner anderen Testleser übertönen. Der Job eines Testleser ist es, zu kritisieren, und zwar hart und gnadenlos. Mit hart meine ich nicht, dass er dich fertigmachen soll, Wertschätzung darfst du sehr wohl erwarten. Und auch ein harter Kritiker darf und soll dich loben – wenn er nämlich etwas richtig gut findet.

2. Wähle deine Testleser nach ihren Vorlieben aus

Jeder liest einen Text anders. In der Regel ist dein Testleser kein Profi und hat nicht gelernt, einen Text mit nötigem Abstand zu beurteilen. Testleser haben andere Stärken, meist sind es Hobbys und spezielle Interessen, die sie für dich interessant machen. Denken sie gerne analytisch? Dann sind sie optimal, um sich deine Verwicklungen und Handlungszusammenhänge anzusehen. Als Krimiautor brauchst du einen analytischen Testleser, einen Besserwisser, der gerne Rätsel löst. Auch als Fatasyautor, wenn dein Plot eine Krimistruktur hat.

3. Wo sehen deine Testleser selbst ihre Stärken?

Ich hatte mit meinem Testleser anfangs echte Kompetenzstreitigkeiten. Ich bilde mir nämlich ein, dass eine meiner Stärken in gut choreografierten Kampfszenen wie Messerkämpfen, Fechtszenen oder Martial Arts liegt. Genau dafür hält sich aber auch mein Testleser für zuständig, offensichtlich drang ich da in eine Männerdomäne ein 😉 Anfangs ärgerte ich mich über seine Kommentare, heute nutze ich sie und verlasse mich darauf, dass er mich vor Schnitzern bewahrt. Streite nicht mit deinen Testlesern sondern hole sie ins Boot. Sind sie Abenteurer oder beherrschen sie eine Kampfsportart? Prima! Dann hast du einen kongenialen Partner für deine Actionszenen.

4. Wo sind die Grenzen deiner Testleser?

Ich habe eine Testleserin, die partout keine Bilder sehen kann. Das ist für mich oft ärgerlich, weil ich selbst ein visueller Typ bin und gerne Inszenierungen schreibe. Aber es zwingt mich auch, andere Sinne zu bedienen. Sie spürt, wenn ein Mantel im Vorübergehen über einen Knöchel streift, sie ist für alle Bewegungen und für taktile Wahrnehmungen zuständig. Und für Bilder wende ich mich eben an andere Testleser.

5. Achte darauf, was deinen Testlesern wichtig ist

Ich habe Glück, ich habe einen Testleser, der sich primär für die spannende Handlung begeistert, und eine andere, der die Handlung so ziemlich egal ist, die aber ein ausgeprägtes Interesse für Figurenpsychologie hat. Sie liest bis auf meine Bücher nie Thriller, weil sie weder Tempo noch Kontrollverlust mag, taucht nie vollständig in Geschichten ein, verliert sich in keinem Roman und identifiziert sich nicht mit meinen Figuren. Aber sie achtet darauf, ob Figuren plausibel angelegt sind und sich psychologisch gesehen schlüssig verhalten.

6. Ein Testleser ist kein Romancoach

Testleser sind in der Regel keine professionellen Leser. Sie haben nicht gelernt, die Struktur eines Textes aufzumachen, deinen Roman mit wissenschaftlicher oder handwerklicher Neugier zu lesen und ihn objektiv zu analysieren. Von einem Testleser bekommst du wertvolle Geschmacksurteile. Doch wenn du jemanden brauchst, der dir beim Schreibhandwerk unter die Arme greift, brauchst du einen professionellen Schreibcoach.

7. Definiere den Job deines Testlesers

Dein Testleser muss wissen, was er für dich tun soll. Ihm einfach den Text schicken und sagen »kommentier mal« ist naiv. Mittlerweile sind meine Testleser und ich ein eingespieltes Team und ich warte ihre erste Stellungnahme ab. Doch wenn mir zu wenig kommt, formuliere ich konkrete Fragen. Bitte sie, bestimmte Stellen besonders genau unter die Lupe zu nehmen, und lass dir erklären, was daran gut ist oder nicht gut funktioniert. Fordere Details ein, für dich ist nicht entscheidend, dass etwas aufgeht, sondern warum. Oder woran es eben noch hakt.

8. Dein Testleser muss sich ausdrücken können und wollen

Daraus ergibt sich, dass dein Testleser in der Lage sein muss, etwas differenziert zu begründen. Meistens eignen sich daher Mütter oder beste Freundinnen nicht zum Testleser. Sie wollen dir eine Freude machen, finden alles toll, was du fabrizierst und wissen nicht mal so recht warum. Wer dir kein detailliertes Feedback geben will, sei es schriftlich oder mündlich, ist nicht böse oder desinteressiert, er hat nur keine Zeit oder kann es einfach nicht. Respektiere das und versuche nichts zu erzwingen.

9. Ermutige deine Testleser, dich zu kritisieren

Ok, ich gebe es zu, ich bin nicht besonders kritikfähig und mein erster Impuls ist, mich zu rechtfertigen. Menschlich verständlich, für den Zweck aber vollkommen daneben. Denn wenn ich dann darüber nachdenke, haben Testleser ja oft recht. Sag ihnen immer wieder, dass ihre Kritik willkommen ist und dich weiterbringt. Sie leisten einen ganz wichtigen Job und das oft kostenlos, also bedanke dich immer wieder und zeige ihnen, wie sehr du ihre Arbeit schätzt.

10. Stelle dein Team in der richtigen Größe zusammen

Ein einziger Testleser ist zu wenig, aber zehn machen die Sache kompliziert. Denn hast du zehn Leute, hast du zehn Meinungen und jedem kannst du es nicht recht machen. Meiner Erfahrung nach sind kleine Teams zwischen zwei und vier Leuten gut. Überlege dir, welche Fähigkeiten du ständig brauchst. So bündle ich einen recherchefreudigen Analytiker mit jemandem, der an den Figuren und am Zwischenmenschlichen interessiert ist. Spezialwissen kannst du dir auch punktuell holen, ich habe z.B. einen Stuntreiter für die waghalsigen Reitszenen und mein Fechtlehrer liest mir über die Degenduelle drüber.

11. Testlesen ist Vertrauenssache

Um einen Testleser auszuwählen, brauchst du Menschenkenntnis. Ich gehe zwar davon aus, dass der Großteil der Menschen dir helfen will, aber es soll ja auch schwarze Schafe geben, die deine Ideen für eigene Zwecke verwerten. Deine Testleser sehen deinen Text in einem sehr frühen Stadium und du musst dich hundertprozentig auf sie verlassen können, dass sie ihn nicht weitergeben oder für eigene Projekte verwenden.

12. Du allein entscheidest, was du übernimmst

Ändere nicht alles, nur weil es dein Testleser gerne so hätte. Er kritisiert, er macht Anmerkungen und Vorschläge, aber wenn du ihm nicht überzeugt zustimmen kannst, dann zwingt dich niemand, seine Meinung zu übernehmen. Du alleine verantwortest deinen Text und du hast das Recht, Vorschläge nicht zu übernehmen. Lass dich auf keine Diskussionen ein, rechtfertige dich nicht, sondern bedanke dich, prüfe, ob etwas an der anderen Meinung dran ist, und dann triff deine Entscheidung.

13. Erkläre nicht, sondern bessere nach

Bevor du anfängst, deinem Testleser eine Figur oder eine Handlung zu erklären, sieh dir lieber deinen Text nochmals an. Alles, was du lang und breit erklären musst, steht nämlich nicht drinnen. Der Testleser ist dein Prüfstein, überzeuge ihn nicht mit deinen Mails oder in Diskussionen sondern durch den Roman. Wie einen ganz normalen Leser.

14. Halte dich bedeckt

Meine Testleser fragen gerne nach, warum eine Figur etwas Bestimmtes tut oder ob ein Ereignis noch eine Rolle spielen wird, und die Verlockung ist groß, enthusiastisch darauf einzugehen. Ist doch super, wenn sich jemand so interessiert! Trotzdem bemühe ich mich, solche Fragen nicht zu beantworten, sondern bitte um Geduld. Wenn du auf solche Fragen eingehst, wirst du nämlich nie herausfinden, ob du die Handlung schlüssig aufgebaut hast.

15. Lass dir deine Figuren erklären

Ab und zu drehe ich aber den Spieß um und bitte meine Testleser, mir den Charakter oder die Handlungsweise einer Figur zu erklären. So finde ich nämlich heraus, ob die Figur so wirkt, wie ich mir das vorstelle. Dazu darfst du aber nicht suggestiv vorgehen. Deine Frage sollte nicht lauten »Findest du, dass sie hier verliebt wirkt? Merkt man aber auch, dass sie sich vor ihm fürchtet?« Stelle die Frage lieber so: »Welche Gefühle bringt sie ihm deiner Meinung nach entgegen und woran merkt man das?«

16. Der Autor bist du

Deine Testleser werden versuchen, auf deinen Roman Einfluss zu nehmen und die Handlung mitzugestalten. Das ist vollkommen natürlich, jeder Leser überlegt ja, wie er auf bestimmte Situationen reagieren würde. Aber hier musst du stark bleiben, hier solltest du Grenzen klar ziehen und auch klar kommunizieren. Der Autor bist du, du allein entscheidest über die Geschichte und steuerst sie.

 

Ob du Testleser schon während des Schreibens, also parallel zum Fortschritt deines Romans einbindest oder erst am Schluss drüberlesen lässt, ist Geschmackssache. Wenn du sie gut auswählst und dir über deine Erwartungen an sie klar bist, werden sie auf jeden Fall ein Gewinn für dich sein. Ich bin für mein Testleserteam extrem dankbar, es hilft mir, meine Romane auf Herz und Nieren zu prüfen und gute Qualität abzuliefern.

Ich wünsche dir ebenso tolle Testleser wie ich habe. Und natürlich viel Spaß beim Schreiben!

unterschrift

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