Du hast deine Figuren gut ausgearbeitet, weißt, wie sie ticken und willst ihren Charakter nun deinen Lesern vermitteln. Du hast auch einen spannenden Plot, nur dummerweise sabotierst du den selbst, indem du jetzt in ganzen Absätzen die Gedanken deiner Figuren schilderst, anstatt die Handlung voranzutreiben. Einmal davon abgesehen, dass du den Charakter einer Figur nicht durch ihre Gedanken, sondern durch ihre Handlungen anschaulich vermittelst, bleibt dir noch eine weitere Möglichkeit. Eine richtig tolle, szenische: Du kannst nämlich unglaublich subtil im Dialog Figuren charakterisieren.

Verschwende nicht deine komplette Energie auf den Inhalt, sondern hör ganz genau hin. Mit subtil meine ich nicht, was die Figuren sagen, sondern wie sie es tun. Wie, wann und wem gegenüber. Das verrät viel mehr über den Charakter als der Inhalt. Im Idealfall kommst du sogar ohne Inquit-Formeln (er sagte, er murmelte, er flüsterte usw.) aus. Im Idealfall hast du die Figur nämlich so gut ausgearbeitet, dass man auch so weiß, wer spricht.

Wie Gott sie schuf

Überlege mal, was du als Erstes an einer Person wahrnimmst. Herausragende körperliche Merkmale wie Größe, supertolle Augen, eine schiefe Nase, Segelohren. Und die Stimme. Das ist angeboren, das kann deine Figur beim besten Willen nicht ändern. Ok, vergessen wir mal chirurgische Eingriffe 😉

Ob dein Held ein Bariton ist oder ein Tenor macht einen Unterschied. Mit einem tiefen Bass assoziieren Leser brummige Typen oder Weise, vielleicht auch Alte. Ebenso wichtig ist die Stimmfarbe. Helle Stimmen wirken offen und ehrlich, dunkle kräftig, geheimnisvoll und sicher. Rauchige Stimmen können erotisch sein oder auf übertriebenen Zigarettenkonsum hinweisen. Wie wirkt die Stimme auf die anderen Figuren? Gefällt ihnen die Stimme deines Helden oder würden sie sich am liebsten die Ohren zuhalten?

Setzt deine Figur ihre Stimme bewusst ein?

Wie jemand mit seiner Stimme umgeht, eignet sich ganz hervorragend, um im Dialog Figuren zu charakterisieren. Stellen wir uns Doktor Kretschmer vor. Er ist ein gut aussehender Kinderarzt in einem kleinstädtischen Krankenhaus und als solcher prädestiniert, der Schwarm aller Mütter und Krankenschwestern zu sein. Dementsprechend oft findet man ihn beim romantischen Rendezvous, und da lässt er seinen Bariton nach allen Regeln der Kunst vibrieren.

Mit der Journalistin, die ihn interviewen soll, funktioniert Trick siebzehn allerdings nicht. Die hat nämlich eine ausgebildete Stimme und sie beherrscht das Spiel auf etwas höherem Niveau. Armer Doktor Kretschmer. Da war ihm Schwester Lisbet schon lieber, die so kleinmädchenhaft lispelte und ihn mit piepsiger Stimme anhimmelte. Und warum er der Oberärztin von der Chirurgie besser aus dem Weg geht, wusste er gleich, als er ihre volltönende Stimme in der Kantine hörte. Von Mannweibern will der Gute nichts wissen.

Kleider kann man leichter wechseln als die Sprache

Was Doktor Kretschmer aber wirklich fuchst, ist, dass er seinen Akzent nicht wegkriegt. Wenn er wenigstens Franzose wäre, oder seinetwegen auch Italiener. Aber dass man ihm das sächsische Landei immer noch anmerkt, schmerzt. Vor allem bei der Journalistin, die die Hochsprache offenbar mit der Muttermilch eingesogen hat.

In englischen Krimis wird oft auf den Eton-Akzent, auf das Oxford-Englisch oder auf Cockney hingewiesen. In einer Klassengesellschaft definiert die Sprache die Zugehörigkeit zu einer Gruppe. In Die Thomas Crown Affäre erklärt der Selfmade-Milliardär »Am schwierigsten war, die Sprache zu erlernen.«

Zeige dem Leser, woher deine Figuren kommen

Hauptfiguren durchgängig im Dialekt sprechen zu lassen, ist heikel, denn Dialekt ist nicht nur vom Schriftbild her mühsam zu lesen, sondern strengt auch an, wenn man ihn nicht versteht. Anstrengung ist aber das Gegenteil von Seiten verschlingen. Besser ist es, wenn du gelegentlich ein Wort in der Fremdsprache einflichtst. Oder den Satzbau leicht variierst. Bilde Sprache nicht eins zu eins ab, sondern erfinde eine Sprache, die Akzent oder Muttersprache erahnen lässt.

Das gilt übrigens auch im historischen Roman. »Holde Jungfrau« ist peinlich und Mittelhochdeutsch für Nicht-Germanisten unverständlich. Drücke die Sprache lieber in eleganten Formulierungen, schnoddrigen Einwürfen oder duch die Anrede aus. Allein wenn deine Figuren ihrzen statt siezen versetzt du sie in eine andere Epoche.

Sprache verrät etwas über die Denkweise

Deine Figur mag sich noch so gut verstellen, aber wenn sie spricht, gibt sie mehr von sich preis als ihr lieb ist. Das beginnt beim Tempo. Wenn sie langsam denkt, wird sie nicht schnell und schlagfertig antworten können. Umgekehrt wird eine schnell denkende Figur die anderen ungeduldig antreiben und einen fünfzeiligen Sermon mit einem knappen aber tödlich präzisen Satz abschmettern. Es gibt Menschen, die mit drei Wörtern eine ganze Flotte versenken können.

Selbstverliebte schwafeln gerne. Leute, die zu faul sind, sich eine eigene Meinung zu bilden geschweige denn sie zu formulieren, haben ein ganzes Arsenal von Sprichwörtern im Köcher. Richtig gefressen habe ich die Phrasendrescher, die so leer sind wie die Worthülsen, die sie von sich geben. Dafür liebe ich Figuren, die ihre Sprache mit feiner Klinge, eleganten Sarkasmen und subtilem Humor zu führen verstehen.

Berufe prägen die Sprache

Jeder Beruf hat seinen Jargon. Verwende hie und da Ausdrücke oder Floskeln, die die Berufszugehörigkeit deiner Figuren ausdrücken. Hör mal einem Steuerberater zu oder einem Anwalt. Manche Leute, die im medizinischen Bereich arbeiten, reden so ein unverständliches Kauderwelsch, das man meint, sie wollen sich damit von der Normalbevölkerung abheben. Die Vokabel, die sich bei lang gedienten Polizeioffizieren oder beim Militär einschleichen, findest du sicher nicht bei Friseuren oder im Supermarkt. Auch eingefleischte Beamte haben eine ganz besondere Sprache erfunden. Ich weiß nicht, ob es in Deutschland genauso ist wie bei uns in Österreich, aber Amtsdeutsch ist schon fast eine Kunstform.

Wann spricht deine Figur?

Nicht nur das Wie charakterisiert deine Figur, sondern auch wann sie spricht. Ist sie wortkarg und sagt nur das Nötigste? Oder sprudelt sie ohne Punkt und Komma? Sieh dir die Gelegenheiten an, bei denen sie den Mund aufmacht und wann sie ihn hält. Womit hängt ihr Schweigen zusammen?

„Wovon man nicht reden kann, darüber muss man schweigen.“ (Ludwig Wittgenstein, Tractatus logico-philosophicus) Diesen Grundsatz beherzigen nur die wenigsten Menschen und demnach auch die wenigsten Figuren. Schweigt deine Figur, weil sie selbstreflektiert ist? Oder ist es Arroganz? Vielleicht aber auch Unsicherheit? In welchen Situationen verschlägt es ihr die Sprache?

Die Figur in einer Ausnahmesituation

Wie wird Doktor Kretschmer sprechen, wenn es ihn richtig erwischt und er ernsthaft verliebt ist? Ich glaube kaum, dass er da sein kalkuliertes Timbre einsetzen kann, denn nun setzt sein Denken aus. Seine Machophrasen kommen ihm höchstwahrscheinlich selbst mehr als lau vor und vielleicht weiß er das erste Mal in seinem Leben nicht, was er sagen soll. Vielleicht quasselt er aber auch wie ein Wasserfall?

Wenn du deine Figuren an ihre Grenzen treibst, muss sich das auch in ihrer Sprache abbilden. Solange sie Herr ihrer Sprache sind, haben sie Spielraum. Zeig sie, wie sie wirklich sind!

Der Gesprächspartner beeinflusst die Sprache

Dass du nicht mit allen Leuten gleich redest, weißt du selbst. Doktor Kretschmer ist sprachlich in arger Bedrängnis, seit sein Love Interest aufgetaucht ist. Aber auch Vorgesetzte und Autoritätspersonen halten deine Figur davon ab, zu reden, wie ihr der Schnabel gewachsen ist. Wer oder was schüchtert deine Figur ein?

Kennst du die Radfahrerhaltung? Nach oben buckeln, nach unten treten. Die gibt es erst recht in der Sprache. Nimmt sich deine Figur Unterlegenen gegenüber ein Blatt vor den Mund? Wie sie mit Unterlegenen spricht, verrät mehr über ihr Weltbild und ihren Charakter als wenn sie unter ihresgleichen ist.

 

Wie, wann und mit wem eine Figur spricht, gibt deinem Leser Hinweise auf den Charakter, ohne dass du ihn durch Beschreibungen aus der Geschichte reißt. Nutze die Sprache dazu, Dialoge echt und lebendig zu gestalten und deine Figuren präzise zu charakterisieren. Und nicht vergessen: Spiele damit! Wenn du es dir mal zur Gewohnheit gemacht hast, ist es ein unglaublich weites und spannendes Feld!

Viel Spaß beim Schreiben!

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