Weißt du, was absolut tödlich beim Romanschreiben ist? Wie du deinen Pageturner mit Sicherheit gegen die Wand fährst? Nein, ich zeige dir jetzt nicht einen Haufen Fehler auf, und du bekommst von mir auch kein Regelwerk. Krampfhafte Regelhörigkeit ist zwar auch nicht gerade förderlich um einen Pageturner zu schreiben, aber als Romanautor hast du einen ganz anderen Fressfeind als den Rotstift eines Lektors. Der Todfeind deines Romans bist du selbst. Deine mangelnde Geduld.
Inhalt
Diese verdammte Deadline
Du kennst das vielleicht vom Jahreszyklus, wir haben da so ein paar Fixtermine. Weihnachten. Den Jahreswechsel. Ostern. Den Sommerurlaub. Den Schulstart. Jedes Jahr nehme ich mir vor, es ruhiger anzugehen, und trotzdem habe ich das Gefühl, dass die Zeit rast. Es ist diese verdammte Deadline, dieses Gefühl, dass zu einem bestimmten Termin alles fertig sein muss. Die Angst, etwas zu versäumen. Und dann rotiere ich, habe einen Beinahe-Herzinfarkt, mache vieles oberflächlich und schnell und verliere die Freude sogar an den schönsten Dingen. Jetzt wissen wir zwar alle, dass es auch eine Zeit nach solchen Terminen gibt, aber trotzdem bricht jedes Jahr die kollektive Panik aus. Irgendwie scheint das zu unserem westlich geprägten Alltag dazuzugehören, und ich glaube, das hat nicht nur mit bestimmten Tagen im Kalender zu tun. Der Stress begleitet dich in unseren Breitengraden dein halbes Leben.
Stress führt zum Herzinfarkt, aber nicht zum guten Roman
Hast du schon mal versucht, eine Szene fertigzuschreiben, während Kekse im Backrohr sind? Während die Küchenuhr tickt, weil dein Abendessen in genau zwanzig Minuten fertig ist? Während du ständig die Uhr im Visier hast, weil du um Punkt sechs aus dem Haus musst? Liegen dir unbeantwortete Mails im Magen und gehen dir offene Projekte an die Nieren? Ich traue mich wetten, dass es in solchen Situationen um deine Konzentration nicht gerade zum Besten bestellt ist. Wenn du mit deinem Hintern auf drei Kirtagen tanzt, kannst du keinen davon richtig genießen, und so cool Multitasking-Fähigkeit auch klingen mag, insgeheim weißt du, dass sie dich beim Romanschreiben nicht ans Ziel bringt.
Ein bisschen Zen bewirkt Wunder
Aber wie sieht es mit diesen Abenden oder Wochenenden aus, an denen du komplett in deinem Roman versinkst? An denen du nicht einmal merkst, dass es dunkel wird. Weil du nämlich gar nicht im Zimmer bist, sondern irgendwo weit weg in deiner Romanwelt. Dein Herz schlägt schneller, weil dein Held dich gerade küsst. Dein Atem fliegt, weil du den schnellen Schwerthieben deines Gegenspielers ausweichen musst. Deine Augen leuchten, weil du gerade zum FBI-Special-Agent befördert wurdest, und in deinem Bauch kribbelt es, weil du in dem Moment den entscheidenden Hinweis auf den Täter findest.
Du tauchst in deine Figuren ein, schlüpfst in sie und denkst, handelst und fühlst an ihrer Stelle. Du bist voll im Gefühl, und wenn du voll im Gefühl bist, schreibst du richtig gut. Und ins Gefühl kommst du dann, wenn du dich ausschließlich auf deinen Roman konzentrierst. Wenn du nur eine Sache machst, die aber mit Hingabe.
Für Hingabe brauchst du Geduld
In der Theorie ist das ja einfach und klar, doch in der Praxis ist dein Kopf schon ganz woanders. Bei der nächsten Szene zum Beispiel, du willst die Handlung in Lichtgeschwindigkeit voran treiben. Und dann hechelst du durch das, was du gerade schreibst, fetzt es oberflächlich hin und anstatt im Flow zu schwimmen verkrampft sich dein Magen.
Ich kenne dieses Gefühl nur zu deutlich, ich habe es immer dann, wenn ich Szenen ausschließlich aus dem Kopf heraus schreibe und sie ungeduldig fertig bringen will. Weil da doch diese große Schlüsselszene auf mich wartet, die, auf die ich mich schon seit Wochen freue. Doch wenn ich dann zur Schlüsselszene komme, bin ich so sehr im Stress, dass ich nicht einmal die richtig spüre.
Drei Projekte sind zwei zu viel
Am Abend, vor dem Einschlafen, spiele ich im Bett gedanklich meine Szenen durch. Wenn ich eine besonders intensive Szene geschrieben habe, lese ich in der Straßenbahn nicht, sondern lasse sie noch einmal Revue passieren. Den gravierenden Wendepunkt in Das Gift der Schlange schrieb ich im Urlaub, und während ich in Grado am Strand lag, ging ich die Gefühle wieder und wieder durch. Zurück vom Strand besserte ich Feinheiten nach, du liest das Kapitel vermutlich in einer halben Stunde, ich brauchte allein für die Rohfassung eine gute Woche.
Die besten Szenen entstehen dann, wenn du ausschließlich an einem Projekt arbeitest und nur in einer einzigen Geschichte lebst. Dann kommst du ins Fühlen, dann spürst du deine Figuren und wirst zu ihnen. Lass dich von deiner Geschichte vereinnahmen und bis in die kleinste Faser durchdringen. Lass eine Geschichte von dir Besitz ergreifen!
Ich wünsche dir Entschleunigung
Eine ganz schlimme Vorstellung für mich ist Fließbandschreiben. Jedes Jahr drei Romane raushauen zu müssen, damit die Kasse stimmt. Heftromanschreiben, wo der Rhythmus noch viel, viel schneller ist. Sieh dir doch mal die wirklich guten Autoren an, selbst die produktivsten schreiben etwa einen Roman pro Jahr. Weil gut Ding eben Weile braucht. Ein gutes Romankonzept erstellt sich nicht in einer Woche und auch nicht in einem Monat. Du lebst mit deinem Projekt, es begleitet dich Tag und Nacht, deine Figuren wachsen, entwickeln sich und überraschen dich.
Ich weiß, dass meine Testleser ungeduldig auf das nächste Kapitel warten, und ich will ja auch ganz, ganz dringend Feedback, weil ich leidenschaftlich gerne über meine Texte rede. Aber oft gebe ich sie dann zu früh weiter. Bei Testlesern mag das vielleicht noch angehen, aber mit übereilten Manuskripteinreichungen oder gar Veröffentlichungen tust du dir und deinen Lesern nichts Gutes.
Der Todfeind für einen Romanautor ist die eigene Ungeduld
Glaub mir, ich verstehe, wie ungeduldig du bist, man könnte sagen, dass ich das Konzept Ungeduld erfunden habe. Unsere Leistungsgesellschaft impft uns mit Zielvorgaben und Deadlines, und ich bin die Erste, die da begeistert mitspielt. Doch ein Roman ist kein Sprint sondern ein Marathon. Setze dich so oft es geht an deinen Roman, wenn du es schaffst, sogar täglich. Aber vergiss die Deadlines, die fremdbestimmten und die selbstgesteckten. Konzentriere dich. Lass dich ein. Schreibe. Und ich verspreche dir, du wirst mit dem Wunderbarsten belohnt, das du als Romanautor erleben kannst. Mit dem Flow!
Ich wünsche dir entspanntes Arbeiten, ab und zu eine stressfreie Auszeit, ganz viel Geduld und viel Spaß beim Schreiben!
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JAAAA!!!
Das ist sehr richtig!
Ungeduld ist der Schlimmste Feind.
Auch anderes herum ist es richtig: Zeit ist der beste Freund. Auch wenn es dem Tempowahn des Selfpublishing widerspricht: Ein Manuskript zwischen Fertigstellung und erster Korrektur sechs Monate wegzulegen wirkt oft qualitative Wunder: Erst mit gewissem Abstand fallen fragwürdige Formulierungen ins Augen. Ohne Abstand lässt die Gewöhnung das Sprachgefühl an gewissen Stellen immer wieder ertauben.
Ich träume ja davon, ach was, ich bin überzeugt, dass auch im Selfpublishing Zeit und Qualität ihren Platz haben. Ich stimme dir absolut zu, Zeit ist der beste Freund, und die nehmen wir uns jetzt einfach 🙂
Da hast Du vollkommen recht, vor allem die Sache mit der Schlüsselszene. Ich lerne auch gerade, den Roman lieber mal einen oder zwei Tage liegen zu lassen und ihn dafür dann richtig und mit Ruhe und Herzblut zu schreiben…:)
Ruhe und Herzblut, das gefällt mir 🙂 Ich wünsche dir ganz tolle Schlüsselszenen! Und natürlich auch ganz großartige Übergangsszenen 🙂
Dankeschön, I do my very best! ?
und noch ein Feilnd oder vielmehr zwei: Facebook und Handy. Da hilft nur abschalten.
Ach, wem sagst du das! Abschalten wirkt Wunder – und es hat auch mit Zeit zu tun 😉
Danke für einen weiteren tollen Beitrag. Ich lese sie alle gern. Entschleunigung. Die hab ich mir eingeräumt, denn mir rennt die Zeit im Dezember auch immer davon. Deshalb gönne ich mir eine Schreibpause und lese stattdessen mehr. Im Januar starte ich wieder mit Elan durch.
Sehr gerne und danke, dass du mir das auch sagst 🙂 Lob tut einfach gut! Lesen ist übrigens eine super Antistress-Strategie. Ich wünsche dir eine schöne Auszeit und viel Elan im kommenden Jahr!
Du sprichst mir aus der Seele! 🙂 Die vorweihnachtliche Zeit ist geprägt von Familie und Freunden – zum Schreiben fehlt mir jetzt die Ruhe. Ganz bewußt habe ich deswegen eine längere Projektpause eingelegt. Das beruhigt die Nerven! 🙂 Sobald die hektische Zeit vorüber ist und ich selbst wieder meine innere Ruhe gefunden habe, werde ich an meinem Roman weiterschreiben – und das mit großer Freude! Natürlich bin ich in meiner Projektpause nicht ganz abstinent. Hin und wieder mache ich mir Notizen über Figuren, Szenen, Dialoge, wenn mir beim Spazierengehen mit meinem Hund entsprechende Einfälle kommen 🙂 🙂 „Entschleunigung“ – ja, das ist ein netter Wunsch, dem ich mich gerne anschließe. In diesem Sinne wünsche ich Dir und allen Lesern dieser Kommentare eine stressfreie und besinnliche Weihnachtszeit. 🙂
Das klingt nach einer wunderbaren Projektpause! Danke für deine Wünsche 🙂 Und großartige Einfälle beim Hundespaziergang 😉
Im Moment ist es sehr ähnlich bei mir, ich habe einen väterlichen Freund verloren,
dann kam eine Hausrenovierung vor, bei der alle alten Rohre und Wasserleitungen
erneuert werden mussten, vor zwei Tagen erfuhr ich von einer lieben Freundin,
dass sie nur noch 1 Jahr zu leben hat. Ich stelle im Moment alles in Frage, selbst
das Schreiben, obwohl ich dabei ganz bei mir bin und mich glücklich fühle.
Ich danke für diese vielen wertvollen Informationen und wünsche dir ein wunder-
volles Weihnachtsfest, eine gute Genesung und einen wundervollen Jahreswechsel.
Mit freundlichen Grüßen
Christiane Klinkmüller
Liebe Christiane,
Was du durchmachst klingt allerdings heftig! Bitte nimm dir alle Ruhe, die du jetzt brauchst und ja, Schreiben ist Balsam für die Seele, aber manchmal sind andere Dinge oder besser gesagt Menschen wichtiger. Ich wünsche dir viel Kraft!
Danke auch für deine Genesungswünsche und auch dir ein schönes Fest und noch ganz intensive Momente mit deiner Freundin.
Liebe Grüße
Barbara
Das ist ein echt toller Post! Wünsche allen viel Erfolg beim Schreiben im neuen Jahr und vielleicht auch weniger Druck!
Danke dir! Und auch dir viel Erfolg beim Schreiben 🙂
Liebe Grüße
Barbara
Hallo, der Artikel ist eine super gute Erinnerung! 🙂 Mir gelingt meist auch was am Besten, wenn ich Stress, Druck, Erwartungen, Geldverdienen, oder die Zeit vergessen kann, und einfach ganz in die Sache versunken bin! Und es mir einfach gut geht! Leider lebe ich viel zu oft in einem Gefühl des Ungenügens und der Sorgen, was mich selbst stört, und mir manchmal schon gar nicht mehr auffällt. Vor allem weil es in Wirklichkeit unnötig ist, und tatsächlich nur ein Überbleibsel der Erziehung zu immer schneller, weiter, mehr, nichts reicht, nichts ist gut genug, nichts geht schnell genug, nichts bringt genug usw. ist. In dieser Zeit bekomme ich dann natürlich auch nichts richtig gebacken und mache das verkehrte. Mit Gelassenheit/Geduld, Zuversicht und wenn man sich die Zeit, die es braucht, einfach nimmt, geht es immer viel besser. Allerdings braucht man auch immer wieder eine Erinnerung daran, um nicht in den gewohnten Leistungs-Sorgen-Trott aus Schulzeiten zu verfallen, der sich durch die vielen Jahre Akkordtätigkeit von vorgegebenen Einheiten/Erwartungen und Angstmacherei (wenn du nicht sofort abc…xyz, wird nichts aus dir – klang immer irgendwie nach gesellschaftlicher Todesdrohung) so eingeprägt hat. Danke für die gut zusammengefasste und humorvolle Erinnerung! 🙂
Ich hab letztens auch Momo von Michael Ende gelesen und fand, er hat unsere westliche Gesellschaft sehr treffend dargestellt. 🙂
lg
Daniela
Liebe Daniela,
Wem sagst du das! 😉 Ja, dieser Leistungdruck ist uns echt anerzogen und sich daraus freizustrampeln alles andere als einfach. Ich wünsche dir, dass es dir immer öfter gelingt 🙂
Liebe Grüße
Barbara