Du hast also einige Figuren erfunden und sie mit entsprechenden Hintergrundgeschichten ausgestattet. Du kennst deinen Haupthelden (oder deine Hauptheldin) und jetzt willst du die Geschichte erzählen. Nur, wo fängst du am besten an?

Beginne nicht mit der Vorgeschichte!

Die Verlockung ist groß. Du hast dir richtig Mühe gegeben, weil du ja weißt, dass dein Held nicht aus dem luftleeren Raum stammen soll. Sein Hintergrund, seine Vorgeschichte motivieren seine Handlungen und Entscheidungen, also muss der Leser auch wissen, was vorher passiert ist. Falsch. Muss er nicht. Zumindest nicht gleich zu Beginn deines Romans.

Du musst nicht alles erzählen

Vieles von dem, was du dir zu deinem Helden ausgedacht hast, wirst du überhaupt nicht erzählen. Also bitte, wirst du jetzt sagen, dann hätte ich mir dir Zeit ja gleich sparen können! Hättest du eben nicht, denn auch was du nicht erzählst, spürt der Leser. Es gibt also Informationen, die du explizit erzählst, und solche, die zwischen den Zeilen stehen. Das sind die, die für die Aura einer Figur sorgen.

Erzählt wird nur, was für die Handlung wichtig ist

Dein Leser liest eine Geschichte, er folgt einem Haupthandlungsstrang. Er will in der Regel nicht wissen, ob deine Protagonistin einmal vom Wickeltisch gefallen ist. Es sei denn, dein Roman handelt von Karins unbeschreiblicher Angst vom Dreimeter-Brett zu springen. Von ihrer Lähmung vor dem Sprung. Von ihrer Selbstüberwindung. Dann, und nur dann, ist die Wickeltisch-Vorgeschichte entscheidend. Aber auch nicht zu Beginn des Romans sondern erst gegen Ende, wenn sich die Knoten lösen.

Der Point of attack

Du solltest dir also sehr gut überlegen, an welchem Punkt du deine Erzählung beginnen lässt. Am spannendsten ist das handlungsauslösende Moment, das Ereignis, das deiner Geschichte einen ordentlichen Schubs gibt und sie erst in Fahrt bringt. Um beim vorigen Beispiel zu bleiben: Karin auf dem Wickeltisch ist am Beginn des Romans nur spannend, wenn du im Anschluss den Konflikt und die Selbstvorwürfe von Karins Papa schilderst, der sich an diesem Sonntag doch ganz besonders als Vater fühlen wollte und dann auf voller Länge versagt. Er steigert sich immer mehr in dieses Gefühl der Unfähigkeit hinein, bis sogar seine Beziehung mit Karins Mutter zerbricht. Und so weiter, ich denke, du hast die Idee.

Erzählst du aber Karins Geschichte, wäre folgender Anfang viel wirkungsvoller: Karin betritt ganz vorsichtig das Brett. Es federt, und unter ihr gähnt der blaue Abgrund. Die Turnprofessorin sieht ihr von unten zu und ihre Klassenkameradinnen kichern. „Feigling“ ruft Gabi, und Claudia spottet lautstark: „Die ist zu blöd zum Springen.“ Karin wagt einen weiteren Schritt, wenn nur das Brett nicht so wackeln würde.

Mach den Grundkonflikt klar

Ob du sie springen lässt und dann die ganze Geschichte rückwärts aufrollst, oder ob sie diesmal nicht springt und du den Roman zwischen diesem Fehlversuch und dem endgültigen Sprung abwickelst, ist deine Entscheidung. Der Unterschied liegt in der Art der Spannung (Was? oder Wie?), über den ich dir in einem eigenen Beitrag mehr verraten werde. Der Grundkonflikt, nämlich Karins Angst vor dem Fall, liegt jedoch auf dem Tisch, und jetzt kann die Geschichte losgehen.

Und die Vorgeschichte?

Die bringst du während der Erzählung mit Rückblenden ein. Da Karin erst ganz klein war, weiß sie von dem traumatischen Erlebnis gar nichts und kommt erst schrittweise dahinter. Liefere die Information häppchenweise nach, in Vermutungen ihres Freundes, der ahnt, dass da „irgendwas“ gewesen sein muss. In Ausflüchten ihres Papas, der sich so schämt, dass er Karins Sturz eigentlich immer verschweigen wollte. In Andeutungen ihrer Mutter, usw.

Mach eine Detektivgeschichte daraus, langweile deine Leser nicht mit der Vorgeschichte, sondern lass sie auf sie hinfiebern. Neugierde ist eine extrem starke Motivation, immer weiter zu lesen und weiter.

Hast du einen guten Beginn? Dann viel Spaß beim Schreiben!

ls-unterschrift

 

Bild: © paladin1212 – Fotolia.com