Einen großartigen Schauplatz finden. Zum Beispiel diesen Kieselstrand vor einem etwas mystischen Himmel

So wirst du einen großartigen Schauplatz finden

Du bist dir ziemlich klar darüber, welche Figuren du einsetzt und welche Handlung du schreiben willst. Aber deine Figuren agieren kaum im luftleeren Raum sondern vor einer Kulisse. Es macht einen gewaltigen Unterschied, wo ein Streit stattfindet oder eine Versöhnung. Welcher Ort Schauplatz eines Kampfes, eines Mordes oder eines Liebesschwurs wird. Der Schauplatz ändert nicht zwangsläufig etwas an der Handlung, aber er eröffnet dir eine weitere Dimension: Der Schauplatz bestimmt die Atmosphäre. Aber wie findest du den geeigneten Schauplatz?

Auf der Suche nach der richtigen Location

In einem Filmteam gibt es eigene Leute, die auf Location-Suche gehen. Wenn du einen Roman schreibst, bist du in einer ähnlichen Position. Sag jetzt nicht, du brauchst das nicht, weil du Fantasy oder Science Fiction schreibst oder dir sowieso alles ausdenkst und selbst gestaltest. Es geht um die Inspiration, aber das wirst du gleich sehen.

Von der Szene zum Ort

Wenn du geplottet hast, dann hast du deine Szenen schon grob im Kopf, und wenn du Discovery Writing vorziehst, hast du zumindest eine vage Ahnung, was passiert. Jetzt kommt der Feinschliff. Du ziehst los und suchst dir die geeignete Kulisse dafür.

Nehmen wir an, du schreibst einen Krimi oder Thriller, und ein Immobilientycoon wird im Büro ermordet. Ein Mord im Büro kann aber in der Teeküche stattfinden oder im Konferenzzimmer, auf der Herrentoilette oder im Aufzug. Schreibtische im Computerraum sehen anders aus als die im Chefzimmer, im Großraumbüro oder der Vorzimmerdame.

Entweder, du kennst die Welt genau, über die du schreibst, weil du jede Woche vierzig Stunden deiner Lebenszeit in so einem Ambiente verbringst. Oder du musst auf andere Quellen zurückgreifen. Auf Filme oder Bücher etwa, aber dann hast du die Information aus zweiter Hand, und schon droht dein Schauplatz zum Abklatsch zu werden, zum Klischee. Suche dir für deine Szenen also Orte, die du selbst besuchen oder besser noch erleben kannst.

Vom Ort zur Szene

Für eine bestimmte Szene einen Schauplatz zu suchen ist nicht immer leicht. Wenn der Auftragskiller nach der Ermordung des prominenten Immobilienmenschen nach China flieht, um auf der chinesischen Mauer seine heimliche Geliebte zu küssen, wenn er dort feststellt, wie groß sein dreijähriger Sohn mittlerweile geworden ist, dann kannst du nicht mal schnell in einen Flieger steigen, um die Gegebenheiten vor Ort zu überprüfen.

Deshalb lege dir ein paar Schauplätze auf Vorrat an. Speichere dir Orte ab, die du erlebt hast, und hole die Erinnerungen daran bei Bedarf hervor. Manchmal siehst du einen großartigen Ort und entwickelst aus der Kulisse heraus eine Szene, und von der Szene aus einen Roman. Genauso wie du einen Roman von einer Schlüsselszene aus weiter spinnen kannst, kannst du auch von einem Schauplatz ausgehen.

Wenn ich einen Reiseführer lesen will, kaufe ich mir einen Baedeker

Gerade habe ich den spannenden Thriller Unter Haien* von Nele Neuhaus gelesen. Er spielt zu einem überwiegenden Teil in New York, aber wenn du jetzt denkst, dass eine Szene bei der Freiheitsstatue stattfindet, eine andere auf der Brooklyn Bridge, eine dritte am Times Square und eine vierte im Central Park, dann liegst du falsch. Nicht einmal auf dem Empire State Building waren wir im Roman oben.

Es hat keinen Sinn, mit dem Finger auf dem Stadtplan, mit aufgeschlagenem Bildband und geöffneten Internetseiten eine Stadt zu beschreiben. In deinem Roman befinden wir uns nicht auf einem geführten Wochenendtrip, sondern wir wollen spüren, wie deine Figuren an dem Ort leben. Wie eine Touristin an deinen Schauplatz heranzugehen, führt dich also nicht zum Pageturner, sondern zum nächsten Altpapiercontainer. Dein Publikum wird dein Buch nicht verschlingen, sondern enttäuscht wegwerfen.

Was ist das Besondere an einem Ort?

Versuche lieber herauszufinden, was das Besondere an einem Ort ist. Welchen Rhythmus hat eine Stadt? Ist sie hektisch und laut? Sauber oder dreckig? Hell oder dunkel? Hip, nostalgisch, steif, mondän? Stürze dich wie Einheimische ins Getümmel. Nicht vom Reisebus aus, sondern in U-Bahn und Straßenbahn erlebst du eine Stadt. Halte ein Taxi an, dann merkst du nicht nur, wie lange es dauert, bis du eines findest, sondern du kannst den Verkehr auch vom Standpunkt eines Autofahrers aus beobachten.

Globalisierung hin oder her, auch wenn überall dieselben Mode-, Kaffee- und Burgerketten eröffnen, hat doch jede Stadt ihr eigenes Feeling. Jeder Ort übrigens auch, selbst das kleinste Kaff. Vergleiche mal ein alpenländisches Dorf mit einem italienischen oder norddeutschen. Welche Eindrücke bleiben bei dir haften? Wie würdest du den Charakter des Ortes beschreiben?

Und jetzt bevölkere ihn

Wenn ich mir eine leere Wohnung ansehe und in Gedanken beginne, sie einzurichten, dann weiß ich, dass es die richtige ist. Wenn du einen Ort siehst, und dir Einfälle kommen, was sich hier alles abspielen könnte, dann merke ihn dir.

Vielleicht denkst du nicht im Traum daran, einen Heimatroman zu schreiben, der auf der Berghütte spielt, in der du gerade dein Speckbrot verzehrst. Aber du siehst dieses Hirschgeweih an der Wand, und schon kann die Hütte der Zufluchtsort deines Helden im Fantasy-Roman sein. Handgezimmerte Tische und knorrige Bänke, der Elf serviert das Abendessen auf einem rohen Holzbrett. Nachts pfeift der Wind durch die Ritzen, und das Haus ächzt.

Warum zieht dich ein Ort an oder stößt dich ab?

Es geht um die Stimmung, die einem Ort innewohnt. Zuallererst geht es hier mal ums Fühlen, du musst noch gar nichts benennen. Nimm den Ort möglichst komplett in dich auf und achte dabei darauf, was du empfindest. Atmest du frei oder schließt sich eine Klammer um deine Lungen? Ist der Weiher, auf den du beim Spaziergang stößt, freundlich oder bedrohlich? In welcher Gefühlsverfassung würdest du ihn aufsuchen?

Je mehr du dir über die Gefühle im Klaren bist, die du mit einem Ort verbindest, desto fantasievoller kannst du ihn in deinen Romanen verwerten.

Erinnerungen schaffen

Um dir einen Ort anzueignen, brauchst du Zeit, das schaffst du nicht wie kamerabewaffnete Japaner auf Europatournee. Auch nicht wie Amis, die Europa in zwei Wochen erkunden. Schlendere, statt schnell zu gehen, und wenn du partout schnell gehen willst, dann sagt auch das etwas über den Ort aus.

Zieh dir die Gerüche rein, achte darauf, wie ein Ort klingt. Ist die Luft lau, oder schneidet sie scharf in die Haut? Trocknet sie deine Lungen aus, flirrt die Hitze, oder atmest du frisch und befreit? Sehen die Leute dir ins Gesicht, granteln sie in der U-Bahn herum oder weichen sie dir aus?

Vergiss nicht, zu dokumentieren

Möglicherweise geht es dir wie mir, dass du dir sehr leicht Eindrücke abspeichern kannst. Wenn nicht, mach dir Notizen. Und Fotos! Ich kann jederzeit bestimmte Orte und ihre Atmosphäre abrufen, aber trotzdem bereue ich es, mir keine Fotos gemacht zu haben, denn die könnte ich nun meinen Fans zeigen.

Ich weiß genau, wie die Brücke aussieht, unter der der Marchese Frosch trifft, denn in Weimar stand ich darunter. Ich kenne das Haus, in dem er wohnt, von innen, denn es ist dem Schillerhaus nachempfunden. Aber meine Leser und Leserinnen kennen es nicht, sie würden auf meiner Facebookseite gerne solche Bilder sehen. Erkunde einen Ort nicht ausschließlich mit der Kamera, sonst bekommst du seine Atmosphäre nicht mit, aber hier und da auf den Auslöser zu drücken, ist kein Fehler.

Abbild und Ideal

Noch ein Wort zum Schreiben: Auch wenn ein Ort noch so toll ist, dein Publikum braucht keine minutiöse Beschreibung der Ziegelmauer, keine exakt vermessene Hecke und keine fotografische Wiedergabe einer Inneneinrichtung. Es braucht ein Gefühl für den Ort, eine Idee. Gib ihm zwei, drei wichtige Attribute, etwa die Sonne, die durch ein Kirchenfenster fällt und bunte Muster auf den Steinboden malt. Zeig ihm das Besondere an einem Schauplatz. Die Kunst liegt in einem knappen Umriss, einer Skizze, die man selbst in der eigenen Vorstellung vervollkommnen kann. Wenn du Details bringst, dann wenige, die aber Stimmung machen und die Vorstellungskraft anregen.

Vom Besonderen zur Fantasie

Wenn du für dich die Stimmung und das Besondere an einem Ort herausgefunden hast, dann kannst du ihn für deine Zwecke transformieren. Dann wird aus der Berghütte die Kate des weisen Elfen. Dann wird aus Weimar ein unbestimmtes Fürstentum, das ein Geheimbund unterwandert und in dem ein Spion gegen einen skrupellosen Herzog kämpft. Dann wird aus einer Weide an der Alten Donau der Ort, an dem … aber das überlasse ich jetzt deiner Fantasie. 😉

Welche Orte inspirieren dich für Schauplätze? Versuch doch mal, mit zwei, drei Sätzen einen Ort vor das Auge deiner Leser:innen zu rufen.

Don’t tell – Make them feel!

Deine Barbara

Versuche Orte, die du betrittst, mit allen Sinnen zu erfassen, und achte dabei unbedingt auf die Gefühle, die der Ort bei dir auslöst. Nicht jeder wird eins zu eins als Schauplatz in deinem Roman Eingang finden, doch wenn du ihn wirklich erlebt und seine charakteristischen Details wahrgenommen hast, kannst du ihn später für deine Zwecke transformieren.